BUCHREZENSIONEN als TEXT

Carmen-Francesca Banciu: Das Lied der traurigen Mutter. Rotbuch Verlag, Berlin 2007, €19.90. Resenzion von Gesine Strempel für das Vormittagsprogramm, rbb-kulturradio, Zeitpunkte. 11.45 – 11.50. am 25.9.07. Redaktion: Heike Kalnbach.
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Moderation:

Carmen-Francesca Banciu, 1955 im rumänischen Lipova geboren, studierte Kirchenmalerei und Außenhandel in Bukarest. Die Verleihung des Internationalen Kurzgeschichtenpreises der Stadt Arnsberg Im Jahr 1985 hatte für sie ein Publikationsverbot in Rumänien zur Folge. Seit November 1990 lebt sie als freie Autorin in Berlin, schreibt Beiträge für den Rundfunk, leitet Seminare für Kreatives Schreiben und eine Weiterbildungswerkstatt für junge deutsche Autoren. Carmen-Francesca Banciu wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet und schreibt seit 1996 auch in deutscher Sprache. Ihr neues Buch, „Das Lied der traurigen Mutter“ ist soeben erschienen. Es ist die Auseinandersetzung einer Tochter mit der Mutter, die nicht mehr lebt. Gesine Strempel stellt es vor.

Autorin:
Wie lange müssen Kinder sich mit der Meinung der Eltern auseinandersetzen? Wie lange müssen Töchter und Söhne sich gegen sie behaupten, und wann sind wir endlich erwachsen? Das sind Fragen, die Carmen-Francesca Banciu am Ende ihres Buches stellt. Und ihre ungeschriebene Antwortet lautet: Nie. Bis zum Lebensende nicht, es sei denn, es gelingt, in Ruhe über die Vergangenheit nachzudenken und sie mit der Gegenwart zu verbinden, das ist Carmen-Francesca Bancius Hoffnung. Nun könnte man natürlich auch fragen, warum man sich unbedingt gegen Eltern behaupten muss, aber darum geht es nicht in diesem Buch. „Das Lied der traurigen Mutter“ ist die Abrechnung einer längst erwachsenen Tochter, die inzwischen drei eigene Kinder hat, mit ihrer Erziehung im sozialistischen Rumänien der sechziger Jahre. Eigentlich ist es das Lied der traurigen Tochter, die lange gebraucht hat, um sich auch an die öffentliche Auseinandersetzung mit der Mutter zu wagen. Denn vor zehn Jahren schrieb Carmen-Francesca Banciu bereits den Roman „Vaterflucht“. Damals lebte sie seit sieben Jahre im Westen, in Berlin. „Sieben Jahre sind eine gute Zeit. Eine Zeit der Erinnerung. Des Vergebens“. heißt es in Vaterflucht. In „Das Lied der traurigen Mutter“ wird nicht vergeben, je mehr erinnert wird, umso schwieriger ist die Versöhnung mit den Eltern, beide führende Mitglieder der kommunistischen Partei Rumäniens. Sie wollen den neuen Menschen erziehen. Die Tochter soll ein Musterexemplar des neuen Menschen werden und wird doch von der Mutter geschlagen mit dem althergebrachten Riemen. Das Prügeln von Kindern gehört nicht zum sozialistischen Erziehungskonzept, war aber trotzdem eine sinnvolle Züchtigung, fand die Mutter. Carmen-Francesca Bancius Buch wirkt in Teilen wie die Dokumentation einer fortgesetzten physischen und psychischen Kindesmisshandlung, sie erklärt, dass in der sozialistischen Gesellschaft rumänischer Ausprägung Zitat, „überall und von jedem erzogen wurde. Jeder war dazu befugt. Kinder waren da, um an ihnen zu üben, den besseren Menschen zu produzieren.“
Carmen-Francesca Banciu schreibt dieses Buch in Berlin, am Check-Point-Charlie, einer der vielen Nahtstellen zwischen Ost und West. Sie sitzt in ihrem Lieblingscafé, schaut aus dem Fenster, nennt sich Maria-Maria erzählt in der dritten Person über sich selbst, dann ist sie die Frau, die nach Berlin kam, um alles hinter sich zu lassen, die alles neu lernen musste, vor allem die Sprache, und sie erzählt in der Ich-Form, wenn sie sich an die Mutter erinnert. An die Frau, die ihre Puppen verbrannte, als sie in die Schule kam, weil die Tochter lernen sollte, allein zurecht zu kommen. Wenn Maria-Maria Ich sagt, ist auch die Sehnsucht nach der Mutter unüberhörbar, ihre Ängste, die die Ängste der Mutter sind. „Ich lerne, sie zu besiegen. Ich lerne, Mutter auszutreiben“, schreibt sie trotzig.
Diese Mutteraustreibung gelingt Maria-Maria nicht, je mehr sie sich an die Mutter erinnert, um so näher kommt sie ihr, sie spricht von ihren schönen Händen, ihrem dichten Haar, von ihrer Einsamkeit und ihren Kopfschmerzen. „Das traurige Lied der Mutter“ erzählt stockend, mit vielen Wiederholungen einzelner Wörter und ganzer Sätze und dann wieder wie ein unendlicher Wasserfall eine einseitige Liebesgeschichte: Die Tochter liebt eine verstörte Mutter, die im sozialistischen Rumänien erwachsen wurde, aus Liebe heiratete und ihre bürgerliche Familie verließ, menschenverachtende stalinistische Normen verinnerlichte, und daran scheiterte.
„Mutter unser“ heißt ein Kapitel, das mit den Worten endet:
„Mutter unser, Anfang von allem. Ende und Anfang. In alle Ewigkeit gehasst, geehrt und geliebt ist dein Name.“
Und so ist man versucht „Amen“ zu sagen, aber auch, zu danken für die Beschreibung dieses unentwirrbaren Geflechts der Liebe zwischen Mutter und Tochter, weil sie zwingt, sich von neuem auseinanderzusetzen mit der Allmacht und der Ohnmacht der Mutter und der subversiven Kraft eines Kindes.
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Abmoderation
Carmen-Francesca Banciu: Das Lied der traurigen Mutter. Rotbuch Verlag Berlin 2007, 19.90
Die Autorin liest morgen, 26. 9, im Buchhändlerkeller in Berlin-Charlottenburg, Carmerstrasse 1
Beginn: …. ??? Uhr


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